Elektrohandwerk sucht die Chance in der Krise:
Der klassische Installateur steht unter Strom - gefragt sind Systemintegratoren oder Spezialisten
Von Obermeister Hans-Peter Tholen
Kreishandwerkerschaft Kreis Heinsberg
Das Elektrohandwerk steht vor großen Herausforderungen. Einerseits drängen zunehmend Billiganbieter auf den Markt. Die Preise für einfache Tätigkeiten gehen daher immer weiter in den Keller. Arbeitsvorgänge, die vor 20 Jahren noch richtig und lukrativ waren, führen heute vielfach in den Abgrund. Auf der anderen Seite wachsen die haustechnischen Gewerke mehr und mehr zusammen – mit der Folge, dass sich auch andere Gewerke im Feld „Elektrotechnik“ tummeln.
Damit nicht genug: Bei größeren Projekten machen uns Großbetriebe, wie Siemens, ABB, F&G usw., das Leben schwer. Diese Unternehmen operieren in vielen Fällen mit ausländischen oder ostdeutschen Mitarbeitern, die deutlich geringere Löhne bekommen. Da wird es immer schwieriger mitzuhalten. Die größeren Installationsbetriebe, von denen es im Kreis Heinsberg einige gibt, spüren mächtig Druck von oben. Kürzlich habe ich ein Angebot eines polnischen Unternehmens gesehen – die arbeiten zu Stundenlöhnen von 17 Euro. Und im klassischen Einfamilienhaus-Bereich haben die Kollegen mit Schwarzarbeit – oder vornehmer ausgedrückt: Nachbarschaftshilfe bzw. Feierabendmeister – zu kämpfen.
Vor diesem Hintergrund führt kein Weg daran vorbei: Das Elektrohandwerk muss sich bewegen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns künftig im Markt positionieren. Einen erfolgversprechenden Weg sehe ich darin, dass wir uns als „Fachbetriebe für Gebäudetechnik“ profilieren. Bei Großprojekten wird das ohnehin schon verlangt. Industriebetriebe, Banken, Versicherungen und Behörden vergeben zunehmend Leistungen im technischen Gesamtpaket.
Hinzu kommt, dass auch die technologischen Fortschritte gerade im Bereich der Gebäudetechnik vor den (gesetzlichen) Gewerkegrenzen längst keinen Halt mehr machen. Dazu gehören Technologien wie die Wärmepumpe, die Brennstoffzelle oder die Bus-Technik. Damit werden Einzeltechnologien zu Systemen zusammengeführt. Die integrative und intelligente Technik in modernen Gebäuden „berührt“ alle haustechnischen Gewerke. Dabei gilt immer mehr: Die Intelligenz liegt im Produkt und nicht in der Tätigkeit. Und das wiederum hat eine enorme Bedeutung für die künftige strategische Ausrichtung unserer Betriebe.
Aber auch für den „normalen“ Bauherrn ist ein Ge-samtanbieter eine bequeme Lösung, denn er hat nur noch einen Ansprechpartner. Kurzum: Wir müssen künftig in Systemen denken, nicht in Einzeltechnologien. Das heißt, wir brauchen eine viel stärkere Gesamtsicht und müssen in der Lage sein, Teilleistungen zu integrieren.
Zugegeben: Diese Erkenntnisse sind nicht ganz neu. Schon vor sechs Jahren haben der Zentralverband des Elektrohandwerks (ZVEH) und die Landesfachverbände ein Konzept zum „Fachbetrieb für Gebäudetechnik“ vorgestellt. Dennoch habe ich den Eindruck, dass immer noch viele Kollegen meinen, sie müssten sich mit dem Thema nicht beschäftigen. Dabei liegt hier gerade für uns ein Zukunftsmarkt. Im Übrigen: Die Konkurrenz schläft nicht. Andere Gewerke haben den Trend längst erkannt und stellen sich den veränderten Rahmenbedingungen.
Hinter den Kulissen hat der Kampf um die Märkte und die Marktverteilung von morgen längst begonnen. Als Elektrofachbetrieb muss ich mir geeignete Kooperationspartner suchen, um Komplettlösungen aus einer Hand anbieten zu können. Beispielsweise wurde mit Unterstützung der Handwerkskammer Aachen inzwischen eine „Facility Management Gesellschaft“ gegründet, um gebündelte Leistungen für die gesamte Haustechnik einschließlich aller Ausbaugewerke in einem Objekt anbieten zu können. Genau das ist der Weg – unsere Kunden verlangen dies immer mehr.
Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre in der Bus-Steuerung, der Datentechnik, der Telekommunikation und in anderen Bereichen haben dazu geführt, dass die fachlichen Anforderungen an unser Handwerk immens geworden sind. Allerdings müssen wir hier differenzieren. Bei Privatkunden spielen diese Technologien weniger eine Rolle. Es gibt nur ganz wenige Menschen, denen man eine Bus-Steuerung schmackhaft machen kann, mit dem sie zum Beispiel aus dem Urlaub übers Handy ihre Haustechnik abfragen können. Im gewerblichen Bereich hingegen ist die Bus-Technik inzwischen Standard.
Das bringt mehr planerischen und organisatorischen Aufwand mit sich. Früher hatte der Heizungsbauer seine eigene Steuerung, der Lüftungsbauer, der Klimatechniker und der Elektrotechniker ebenfalls. Heute muss der Elektriker alles integrieren und vorher abstimmen, bevor er die Steuerung beim Kunden einbaut. Auch das ist ein Vorteil für uns. Denn hinter allen Technologien und Systemen rund um das Gebäude steht ein verbindendes Element: der elektrische Strom. Und da läuft ohne den Elektromeister nichts. Wir haben somit die Chance, zum Systemintegrator der Gebäudetechnik zu werden. Andererseits: Wenn wir diese Chance nicht nutzen, droht der Verlust unserer Kernkompetenz.
Der Kleinbetrieb ist davon bislang nicht so betroffen, da größere Gewerbeprojekte für ihn nicht infrage kommen. Klar ist nämlich auch: Kein Mensch kann alleine alle dieser neuen Techniken beherrschen. In den größeren Betrieben gibt es längst Spezialisten, die für die unterschiedlichsten Techniken, zum Beispiel Bus-Technik, Antennentechnik, Sicherheitstechnik usw., ausgebildet simd.
Eine Möglichkeit für kleinere Elektrofachbetriebe liegt in der Spezialisierung, sei es in der Sicherheitstechnik oder in der Informationstechnik, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Allround-Strippenzieher jedenfalls wird es in der Masse mittelfristig schwer haben. Vielleicht gibt es ihn noch im Einfamilienhaus-Bereich. Aber dann muss er auch mit geringeren Margen zufrieden sein. Schon seit langem werden die Margen immer kleiner und der Konkurrenzdruck immer größer. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir in unserer Region starke Konkurrenz durch die niederländischen Kollegen haben, auch wenn sich manche holländische Firma aufgrund der vielen deutschen Vorschriften und Normen eine blutige Nase geholt hat und sich inzwischen wieder vom deutschen Markt zurückzieht.
Ein großer Markt ist auch das Sanierungsgeschäft. Viele Häuser, die nach dem Krieg gebaut worden sind, können im momentanen Zustand nicht mehr vermietet werden. Wer mit offenen Augen durch unsere Innenstädte geht, erkennt einen riesigen Sanierungsstau. Aber um den abzubauen, müssen sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Bei unseren gewerblichen Kunden können wir heute schon Sanierungsarbeiten ausführen. Da hilft uns der E-Check, der ja mittlerweile für den gewerblichen Bereich gesetzlich fest-geschrieben ist. Beim Privatmann ist das anders: Der fährt zwar mit seinem Auto regelmäßig zum TÜV, aber die Elektroanlage soll möglichst ein Leben lang reibungslos funktionieren.
Ein Vorteil für unser Handwerk ist sicher, dass man keine riesigen Kapitalsummen braucht, um einen Betrieb zu gründen – vorausgesetzt, die Kunden zahlen pünktlich. Hier haben wir zurzeit ein großes Problem. Es ist erschreckend, wie viele Unternehmen gerade in den letzten Monaten Insolvenz anmelden mussten. Die Zeitungen sind voll davon.
Auch unsere Innung ist geschrumpft. Wir haben derzeit 98 Mitgliedsbetriebe. Vor einem Jahr waren es noch 116. Dieser Rückgang hängt natürlich nicht nur mit Insolvenzen zusammen, da spielen auch andere Gründe eine Rolle. In schlechten Zeiten überlegt jeder, wo er einsparen kann – da wird dann schon mal auf die Innungsmitgliedschaft verzichtet. Allerdings bringt das unter dem Strich nichts. Jeder Handwerker – zumal, wenn er ausbildet – profitiert in hohem Maße von der Innung. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Prüfungsgebühren für Innungsmitglieder deutlich niedriger sind: Wer soll sich denn um die Ausbildung und die Prüfungen kümmern, wenn nicht die Innung? Wir täten den jungen Leuten doch keinen Gefallen, wenn sie ihre Prüfung demnächst bei der Handwerkskammer in Aachen machen müssten.
Stichwort Ausbildung: Das Elektrohandwerk stellt hohe Anforderungen. Dazu bräuchten wir Lehrlinge mit mittlerer Reife oder entsprechenden Abschlüssen. Die bekommen wir aber in aller Regel nicht. Vermutlich liegt das daran, dass wir auch Knochen- und Drecksarbeit machen müssen. Wir müssen nun einmal die Strippen ziehen, bevor wir uns dann den schönen Aufgaben zuwenden können. Andererseits ist unser Beruf so abwechslungsreich wie kaum ein zweiter. Und er ist anspruchsvoll. Deshalb haben es Hauptschüler ohne Abschluss oft schwer, ihre Gesellenprüfung zu bestehen.
Unser Beruf ist sehr attraktiv, und das wollen wir schon mit dem Namen ausdrücken. Deshalb heißt es heute nicht mehr Elektroinstallateur, sondern Elektroniker. Ich hoffe, dass uns diese neue, seit dem 1. August 2003 geltende Berufsbezeichnung helfen wird, künftig mehr geeignete junge Menschen für unser Handwerk zu gewinnen. Übrigens: 2002 hatten wir innerhalb unserer Innung 127 Lehrlinge. Wir gehen davon aus, dass wir im neuen Lehrjahr auch wieder 30 bis 40 neue Auszubildende bekommen werden.
Nun, wenn ich alles zusammen nehme, muss ich feststellen: Das Elektrohandwerk steckt in der Krise. Allerdings liegt darin eine große Chance. Wer sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellt, kann seinen Betrieb ausbauen. Zwar mag derzeit nicht die Zeit für große Investitionen sein. Aber die Zeiten ändern sich bekanntlich – und irgendwann wird es auch wieder wirtschaftlich aufwärts gehen.